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Es geht immer darum, zum Wesentlichen in sich selbst zu finden
 

Grenzen schafft der Menschen sich selber
Der Beobachter macht die Beobachtung zu dem, was sie ist

Von Zen-Meister Hinnerk Polenski

Der Beobachter macht die Beobachtung erst zu dem, was sie ist. Grenzen entstehen durch die Kategorien, die wir selbst schaffen. Wie aber erkenne ich, worauf ich zu achten habe für mich selbst und andere? Um diesen Blick zu schärfen ist es nötig, sich einmal anzuschauen, wie wir normalerweise die Dinge um uns herum betrachten. Viele Dinge in unserem Leben und in der Welt haben für uns einen vorgefassten Rahmen, einen Namen, der genau definiert ist. Nehmen wir als Beispieleinen Baum. Es gibt Menschen, die, wenn sie einen Baum sehen, denken: „Oh, was für ein schöner Baum! Er wirkt so kraftvoll und erhaben.“. Andere denken: „Wenn ich den fälle, dann verdiene ich daran zwanzigtausend Euro.“ Ein Schreiner sieht darin Tischplatten und Säulen. Wieder andere sagen: „Dieser Mistbaum schmeißt mir Blätter auf mein Auto.“ Und der Umweltschützer denkt: „Wie kann ich diesen Baum erhalten?“ Kurz, die Wahrnehmung der Welt ist immer abhängig von einem Beobachter, von dem also, der diese Welt oder einen bestimmten Ausschnitt davon sieht und erlebt.

Und das Bild, das der Einzelne schafft, ist abhängig von seinen Erfahrungen, seinen Prägungen, seiner eigenen Welt. Und da bei zwei Wesen dieses Bild niemals genau gleich ist, sieht jeder Mensch auf dieser Erde einen Baum anders. Das heißt, ich sehe die Welt aus meinem Blickwinkel, mit meinem Erfahrungshintergrund. Mein Partner, Kollege oder die Kassiererin an der Kasse im Supermarkt tun dasselbe, sie sehen deshalb eine andere Realität als ich, weil sie andere Erfahrungen gemacht haben. Und diese getrennten Sichtweisen lösen ganz schnell „Missverständnisse“, „Irritationen“ aus.

Die so von uns geschaffenen Grenzen und Kategorien gibt es in der Wirklichkeit nicht. Das System von Vorstellung, Grenze und selbstgemachten Bildern eignet sich sehr gut zum Einkaufen: „Ich hätte gerne zwei Liter Milch.“ Dann weiß nämlich jeder Beteiligte (Käufer und Verkäufer) genau, was gemeint ist, nämlich zwei Tüten mit je einem Liter Milch, und die kosten dann xy Cent. Die Welt so zu sehen ist ein sehr altes System, aber unser Geist ist sehr viel weiter als dieses uralte, sehr nützliche und gute System. Das ist die sogenannte „relative Welt“. Und leider lässt es sich nicht vermeiden, dass in dieser relativen Welt andauernd irgendjemand irgendwie verletzt, kränkt oder missversteht – das liegt in der Natur der Dinge.

Ich bin nicht Ich

Doch da gibt es noch eine andere Sichtweise, die den Menschen oft unglücklich sein lässt. Ich bin unzufrieden, unglücklich, fühle keinen Sinn, wenn ich nicht ich selbst bin oder „ich nicht ich sein kann“. Das bedeutet zum Beispiel: Ich glaube, Obst nicht zu mögen, weil ich Obst zu Hause nie bekomme habe, weil meine Mutter kein Obst für uns kaufen konnte; es war zu teuer, und sie mochte es auch nicht wirklich. Also lehne ich Obst heute ebenfalls ab, obgleich ich Obst vielleicht wirklich gerne mag. An diesem Punkt bin ich nicht „ich selbst“, sondern da bin ich konditioniert. Um zu wissen, ob ich Obst mag oder nicht, muss ich also zunächst meine Konditionierung erkennen, muss das Obst dann ohne Vorbehalte probieren und dann kann ich frei entscheiden.

Und deshalb ist der erste Schritt zur Erlösung aus meinem Unglücklichsein und meiner Angst, zu lernen, mich selbst zu beobachten. Durch dieses Beobachten eröffnet sich in uns eine andere, eine „neue“ Wahrnehmung und damit auch eine neue Wahrheit und Welt. Und diese neue Wahrheit über mich selbst trägt entscheidend dazu bei, meine Umgebung, Kollegen, Mitarbeiter und auch die Arbeit selbst anders, neu zu sehen. Wir lernen, wer wir selbst sind. Und aus dem Wissen, wer wir sind,entsteht Klarheit. Eine Klarheit, die sich in jedem Fall positiv auswirkt auf mich und mein Umfeld. Diese neue Sicht verändert ganz automatisch mein Leben und das Zusammenspiel mit anderen Menschen.

Die Macht von Gedanken und Gefühlen

Um diese Dimension unserer „Blindheit“ und Verstrickung wirklich zu verstehen, ist es sinnvoll sich einen Augenblick mit der Macht von Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen: Gier, Hass, Verblendung und die daraus resultierende Angst sind nichts anderes als Folgen unseres Denkens, Redens und Handelns. Und diese Gefühle sind die Grundursache von Leid. Verblendung ist dabei ein anderes Wort für Furcht, Nichtwissen und Egomanie. Gier führt zu Trägheit, Neid und Unruhe. Alle drei: Gier, Hass und Angst, kreieren unser Leben immer wieder neu, lösen in uns unheilsame Impulse aus, lassen uns reagieren statt agieren.

Gebe Gedanken keine neue Nahrung, dann werden sie ruhiger, dann nehmen sie ab, dann wird es stiller in deinem Kopf.

Gedanken plagen den modernen Menschen zwar am meisten, lassen sich aber relativ leicht durch eine Übung beruhigen. Verbunden mit Atmung, Kraft und Erdung kann in der Meditation relativ rasch ein Zustand von Nicht-Denken erreichet werden. Dazu später mehr im praktischen Teil dieses Buches. Die Dimension des Gefühls ist von überwältigender Macht. Denn Gefühle sind, im Gegensatz zu Gedanken, ein Konstrukt aus Körper und Geist. Gefühle sind ineinander verwoben. Der Gedanke findet in meinem Kopf, in meinem Ego, in einer Illusion statt, die sich abheben kann von jeglicher Körperlichkeit, auch wenn sie sich mitunter in Körperlichkeit auszudrücken scheint. Im Gegensatz zum Gedanken ist das Gefühl immer auch eine Dimension von Körperlichkeit. Das heißt, der Körper wird immer miteinbezogen. Wenn ich gierig bin, ist auch der Körper gierig, das ganze System ist gierig. Das zu erkennen ist im ersten Moment die größte Herausforderung für uns Menschen.

Wenn das Gefühl mit voller Kraft wirkt, löscht es die übergeordnete, die sogenannte Meta-Ebene komplett aus. Der Mensch ist überwältigt. Er kann dann diesem Gefühl total ausgeliefert sein. Das ist der Status quo. Ob das in mir selbst stattfindet, gegen mich selbst gerichtet ist oder ob es durch Worte und ein Ereignis ausgelöst wird, spielt dabei keine Rolle. Es gibt diesen Mechanismus, der sich immer weiter und weiter fortsetzt und mich unheilsam agieren lässt. Das sind innere Zwänge, in denen wir uns bewegen, die uns dazu bringen, immer wieder in dem gleichen Unheil zu bleiben. Das ist das Grundthema. Dieses zu behandeln, ist eine lebenslange Herausforderung und Transformation.

Es geht hier also nicht um irgendeinen bestimmten Aspekt des Lebens, sondern um die grundsätzliche Wandlung des Lebens, das aus der Angst, gepaart mit Gier, Hass und Verblendung, in einen anderen Zustand von Liebe, Freude, Gelassenheit und Mitgefühl transformiert werden soll. Das ist ein langer Weg, der nicht unterschätzt werden sollte. Meisterschaft bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass man diese Transformation gemeistert hat, sondern, dass man immer wieder die Herausforderung annimmt und auch im Scheitern den Weg unabhängig von allem weitergeht.

Wir sind Menschen und Menschen fallen immer wieder hin; dann heißt es aufstehen und weitergehen

Es geht darum, nach einem Scheitern nicht aufzugeben, sondern wieder aufzustehen, in dem Bewusstsein, dass wir „nur“ Menschen sind, die diesen Weg gehen und ihn vollenden wollen. Alle Menschenfallen ab und zu und irren sich. Das ist die ganz große menschliche Herausforderung. Die Meisterschaft besteht genau innerhalb dieser, und nicht außerhalb dieser menschlichen Schwächen. Meisterschaft findet sich genau innerhalb des menschlichen begrenzten Seins.

Ich kenne dieses Fallen und Aufstehen, das Weitergehen und wieder Fallen aus eigener Erfahrung. Ich kann immer nur sagen: Das ist ein Weg. Ein großartiger, wunderschöner Weg bis zum Ende. Immer weiter. Aber immer wieder erkennen wir neu: Ich bin Mensch, ich habe mich getäuscht. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Es geht immer wieder darum, dass ich mich inmitten meiner unvollständigen, bedürftigen, betroffenen Welt der Täuschungen auf den Weg mache und mich und meine Welt langsam erwecke. Dieser Prozess heißt Transformation. Nur durch Transformation schließt sich irgendwann der Kreis. Dann ist das Bewusstsein erwacht inmitten unserer bedingten und begrenzten Welt. Inmitten von uns selbst. Wir brauchen diese Form der Intelligenz und des Bewusstseins, um die Herausforderung, vor der wir als Menschen im Beruf und im Privatleben stehen, heilsam zu lösen, aber auch um darüber hinaus als Menschheit auf dieser Erde zu überleben. An erster Stelle steht also die Einsicht: „Ich bin nicht Ich“, dann folgt der Wunsch sich zu verändern, sich selbst kennenzulernen, und daraus erwächst die Entscheidung, den Wunsch auch umzusetzen. Das ist dann der Beginn des Weges, sich selbst zu meistern.