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Ich denke, also bin ich (unglücklich)

von Juergen Fell

Auszüge aus einem Beitrag in „Fontiers in Human Neuroscience“ Klinik für Epileptology, Universität Bonn

Beschäftigen wir uns nicht mit einer konkreten Aufgabe, haben wir gewöhnlich eine Vielfalt von Gedanken, zum Beispiel über gegenwärtige Probleme, Gelegenheiten, unser Selbstbild, unsere Beziehungen und über vorige Erfahrungen und wir schmieden Pläne für die Zukunft. Dieses Gedankenwandern nimmt fast Hälfte unserer Zeit im Wachzustand in Anspruch. Das Gedankenwandern war wahrscheinlich ein evolutionärer Vorteil und trug zu einer besseren Anpassung an veränderte soziale und umweltabhängige Verhältnisse bei, weil es das Nachdenken über Probleme erlaubt, die nicht direkt mit der aktuellen Situation zu tun haben.

Aber das Gedankenwandern hat wesentliche Kehrseiten. Selbst wenn wir eine Aufgabe durchführen, neigen unsere Gedanken dazu zu wandern. Dieses Abdriften in situationsunabhängige Gedanken geht gewöhnlich unbemerkt einher und es führt zur Verschlechterung der Aufgabenleistung. Abhängig von der jeweiligen Aufgabe und Tätigkeit kann das wirklich gefährlich sein, z.B. wenn wir ein Fahrzeug fahren. Außerdem geht das Gedankenwandern oft mit negativen Gefühlen einher.

Eine neue Studie belegt, dass Menschen weniger glücklich sind, wenn ihre Gedanken zu neutralen Themen wandern, als wenn sie sich auf ihre gegenwärtige Tätigkeit fokussieren. Und selbst wenn an angenehme Themen gedacht wird, sind Menschen nicht glücklicher, als wenn sie sich auf die aktuelle Aufgabe konzentrieren.

Kenntnisse über die negativen Wirkungen des Gedankenwanderns sind seit langem in verschiedenen religiösen Traditionen insbesondere im Buddhismus verfügbar gewesen. Die Praxis der Achtsamkeitsmeditation zielt z.B. darauf ab, das Vorherrschen von nicht kontrollierten Gedankenketten zu reduzieren und die Meta-Bewusstheit für die fortlaufende Geistestätigkeit zu steigern. Kürzlich konnte durch eine neurowissenschaftliche Studie gezeigt werden, dass mit dem Gedankenabschweifen verbundene Gehirnaktivtäten im Falle von Meta-Bewusstheit verringert werden. Heutzutage sind Elemente der Achtsamkeitsmeditation in vielen therapeutischen Systemen zu finden, wie z.B. in der Achtsamkeits-basierten Stressreduktion. Diese Techniken werden zum Beispiel für die Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms, bei psychosomatischen Problemen und Depressionen angewandt.

Aber gibt es mittlerweile neurowissenschaftliche Belege, dass Achtsamkeitstraining die mit Gedankenwandern einhergehenden Nervenaktivierungen im Gehirn reduziert? Neuere neurowissenschaftliche Studien basierend auf der funktionellen Kernspintomographie unterstützen diese Annahme.

Eine neue Studie untersuchte Aktivierungen in bestimmten Bereichen des Gehirns bei Menschen ohne, mit mäßiger und mit langer Meditations- Erfahrung während des Tagträumens und während der Meditation. Die Wissenschaftler beobachteten während der Meditation verglichen mit dem Tagträumen eine Hemmung der Netzwerktätigkeit in Hirnregionen, die den sogenannten Standard-Ruhemodus unterstützen. Andere Untersuchungen kamen zu ähnlichen Ergebnissen, die darauf hinweisen, dass Menschen mit Meditationserfahrung geringere Aktivierungen in Hirnregionen aufweisen, welche mit selbstbezogenen gedanklichen Prozessen beschäftigt sind.

Eine andere Studie richtete sich auf die Begriffsverarbeitung bei Zen-Praktizierenden im Vergleich zu Kontrollpersonen. Die Wissenschaflter belegten, dass Zen-Praktiker eine größere Fähigkeit hatten, das Auftreten von gedanklichen Begriffsketten zu vermeiden und somit von dem Gedankenwandern loszukommen.

Bei einem 8-wöchigen Kurs der Achtsamkeitsmeditation für Fortgeschrittene und Anfänger wurden ähnliche Ergebnisse beobachtet (siehe www.frontiersin.org).

Die gewonnen Daten lassen den ersten Schluss zu, dass Achtsamkeits-schulung eine effiziente Methode ist, um Nervenprozesse im Zusammenhang mit dem Gedankenwandern und unkontrollierte Gedankenketten zu reduzieren. Jedoch sind zusätzliche Studien erforderlich, um diese anfänglichen Ergebnisse zu bekräftigen. Außerdem ist es noch unklar, ob die durch Achtsamkeitstraining verursachten Modifizierungen von Nervenaktivierungen direkt zu Änderungen des Verhaltens in Verbindung stehen.

 > Gastautor: Dr. Jürgen Fell, Privatdozent und Diplom-Physiker an der Klinik für Epileptologie, Bonn.

Kontakt: juergen.fell@ukb.uni-bonn.de