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Der Weg des Daishin Zen

Teisho - Zen-Meister Hinnerk Polenski

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Geist strebt, Herz heilt.

Ich möchte heute, an dieser Stelle dieses großen Sesshins, in dem wir von einem Weg zu einem anderen kommen, aus der Eisregion in den Bereich des Frühlings, blühender Felder und warmer Sonne, die Didaktik und das System des Daishin-Zen darlegen – aber nur um zu zeigen, warum im Daishin-Zen der Herzweg immer an erster Stelle steht. Dazu benutze ich eine Metapher, die im Daishin-Zen häufig benutzt wird, nämlich der Weg zum Berg, zur Bergspitze. Selbstverständlich gibt es keinen Berg und keine Bergspitze. Es ist ein Bild in der relativen Sprache, um etwas, was nicht ausgedrückt werden kann, sichtbar zu machen. Aber man darf nicht daran festhalten. Der Finger, der zum Mond zeigt, ist nicht der Mond.

Eine Besonderheit des Daishin-Zen ist, dass es auf dem Weg zum Berghöhe, zum Berggipfel als Synonym der Befreiung, der Meisterschaft, als Synonym von dem was die alten Meister und Meisterinnen seit alter Zeit bezeugen, einen Weg gibt, der drei Raststätten kennt, drei Stationen kennt, in denen wir diesen Weg in irgendeiner Art und Weise spüren können. Sicher antwortet Nansen , als Joshu fragt, „was ist der Weg“: „Der alltägliche Geist ist der Weg“. Und Yoshu fragt - in seiner Jugend eben, mit 18 glaube ich - „wie finde ich denn diesen Weg“, und Nansen antwortet: „Wenn Du versuchst ihn zu finden, dann verlierst du ihn.“ Sicher ist es so. Dennoch gibt es Erfahrungen auf diesem Weg, die auf der einen Seite wichtige Meilensteine für uns sind, und auf der anderen Seite auch große Hindernisse sein können.

Damit die Hindernisse nicht zu groß sind auf der einen Seite und man auf der anderen Seite nicht Jahrzehnte lang in einer öden Leere umherirrt, gibt es auf dem Weg zum Berg im Daishin-Zen Berghütten. Berghütten von Erfahrung, zu denen auch beschriebene Wege führen, eben die sogenannten drei Meilensteine. Dieses symbolisiert unseren Weg zur Bergspitze. Dies bedeutet in der tiefsten Form: Materie strebt zu Geist, Materie wird zu Geist. Es ist der Weg der Heiligung, der Weg zu reinem Geist. Für unendliche Zeit erhebt sich aus der Materie dieser Geist.

Geist schläft im Stein, atmet in der Pflanze, träumt im Tier und erwacht im Menschen.

Die erste Berghütte ist Hara und die Lehre von der Lebensenergie. Es geht um Kraft, Lebensenergie, ja, Fokussierung und vor allen Dingen um die Form, die rechte Form, denn ohne Form kann der Inhalt keinen Platz finden, verlieren wir ihn, rinnt er uns durch die Hände. Es geht um Gesundheit, um Erdung und innere Mitte. Es ist die Wegfindung. Ein schöner Weg, kraftvoll und stark, aber voller wunderbarer Blumen am Rande, ein Weg, leicht schöne Erfahrungen zu machen, ein Weg, schnell zu spüren, dass es mehr gibt als die Bedingtheiten um uns herum.

Dann etwas weiter in der Ferne mit einer wunderschönen Aussicht, die sehr beeindruckend ist, weil sie schon über die Berge geht, ein Blick auf Gletscher und blauen Himmel, der Weg von Samadhi, Sammlung, Verbindung. Hier finden die ersten tiefen Erfahrungen statt; hier finden wunderbare Öffnungen statt, die uns kurz aufleuchten lassen. Das ist die Wegfestigung. Und hier bekommen wir den Hinweis, dass wir alle Erfahrungen, die wir machen, sofort wieder loslassen sollen, wie wunderbar sie auch sind. Sie sind eben wunderbare Meilensteine. Hier spüren wir: Ja, es gibt einen Weg; ja, es gibt etwas Besonderes; ja, ich bin vielleicht etwas Besonderes. Vielleicht gibt es einen Weg, frei zu werden. Dieser Weg ist sehr, sehr gut bekannt. Die alten Meister besonders des Chan und des Zen haben hier viel hinterlassen, wo man sich wunderbar bewegen kann. Ganz großartig. Hier profitieren wir von den alten Meistern des Zen aus der Tradition Japans und Chinas.

Dann die dritte Berghütte, ein wunderbarer Ort, gleichzeitig auch wundersam, ja so in dieser Form im japanischen Zen kaum vorhanden. Sie ist eine Besonderheit des Daishin-Zen. Die dritte Berghütte ist Metta. Güte, Liebe, Freude, Gelassenheit, Herzgeist. Wegerfahrung, und vor allen Dingen Wegsinngebung. Hier öffnet sich zum ersten Mal eine Weite, die über die Übung hinausgeht. Ja, das können wir auch im Samadhi erfahren, dessen höchster Punkt die Selbstvergessenheit ist. Aber dennoch geht Metta darüber hinaus, weil Metta zum ersten Mal uns und unser Wesen ganz sanft transformiert. Hier beginnt eine innere Ethik verbunden mit Hara, der Erdung, ein kraftvoller, lichtvoller Weg mitten in unserer Welt.

Warum steht Metta - Herz - so im Mittelpunkt des Daishin-Zen? In Japan finden wir an aller erster Stelle immer wieder Jishu Sammai, Samadhi, Samadhi, Samadhi. Wir finden dort Mönche, die dieses vollenden. Schon als junge Mönche mit 24, 27, haben sie außergewöhnliches absolutes, stilles Samadhi im Zazen, außergewöhnliches, dynamisches, positives Samadhi in ihren Bewegungen – großartig. Wir finden dies auch in vielen schönen anderen Zenrichtungen in Europa.

Warum steht im Daishin-Zen Metta so an erster Stelle? Gerade wo wir auch durch die vielen Lehrer, die das Daishin-Zen inspiriert haben, wie Dürkheim und aus der Hokoji-Schule, auch durch Qi-Gong-Meister, ein großes Wissen über Hara und Ki und Kraft und Lebensenergie verfügen, das immer weiter wächst, auch getragen durch fortgeschrittene Schüler, die hier weiter forschen, warum ist Metta trotzdem an erster Stelle? - Herz.

Bevor ich das beantworte, möchte ich noch zwei Schritte weitergehen. Ich möchte noch etwas über den Weg von der Bergspitze herunter andeuten, auch eine Besonderheit des Daishin-Zen. Er ist auch im Zen vorhanden, in den Ochsenbildern. Und ich möchte noch etwas sagen über die Ebene der Bergspitze, und zwar was dort aus der Tradition überliefert worden ist.

Nach dem Weg auf die Bergspitze, nach dem Weg auf den Berg, wie weit hinauf auch immer , folgt im Daishin-Zen immer ein Weg herunter. Das ist der Unterschied zum traditionellen Zen. Im Traditionellen gehe ich erst einmal auf diese Spitze hinauf, 10, 20 Jahre, immer immer weiter, gerade, gerade, gerade. Und irgendwann die tiefe Einsicht. Ochse weg, Ochsenbändiger weg, alles weg. Nur ein Kreis. Sunyata – das Ideal des traditionellen, japanischen Zen. Und dann der Weg weiter, der Ochse wird geritten, der Marktplatz, die Bilder des Zen, symbolisiert durch große Meister wie Ikyu oder Teemeister Rikyu  und viele andere große Meister mitten in der Welt, nicht abgesondert.

Aber hier im Daishin-Zen geht der Weg ,selbst wenn ich nur einen Ausflug auf einer Alm mache, auch dann wieder runter in die Welt. Der Weg herab symbolisiert die Verwirklichung in der Welt. Das heißt, wenn ich Hara übe, und eine Hara-Erfahrung mache – Hara, das Energiezentrum des Menschen im Unterbauch, das zu einer tiefen Mitte führen kann –, dann geht es immer zur gleichen Zeit auch darum, dies in der Welt zu bezeugen.

Wir finden im japanischen Zen eine Äquivalenz für diese beiden Bereiche, auch für noch nicht so erfahrene Mönche. Es gibt diese Spur ebenfalls, nämlich absolutes Samadhi auf dem Kissen in tiefer Stille auf der einen Seite und sofort daraus - durch den Klosteralltag, durch die Struktur - positives Samadhi. Action, Dynamik, Power in Samadhi. Ebenfalls ein Ideal der Rinzai-Schule: Dynamik. Auch diese beiden Bereiche werden schon gleich am Anfang geübt.

Für uns im Daishin-Zen ist immer die Frage: Wie kriegt man das in unsere Welt? Denn wir befinden uns nicht im Kloster, sondern in der Küche zu Hause, in der U-Bahn, in Flugzeugen, an Computern, in Meetings, Sitzungen, an Handies, im Gespräch mit Freunden bei einem Wein. Deshalb gibt es hier einen neuen Schwerpunkt in der alten Tradition, verbunden mit der alten Tradition.

Der Weg von der Bergspitze, von dem höchsten Punkt, symbolisiert: Geist erkennt sich in Materie. Geist wird zu Materie. Es ist die Schöpfung selbst, es ist die Heilung aus der Zweiheit, aus dem Zweifel, aus Leiden. Es ist der Weg vom Berg, der Weg der Befreiung mitten im Leben. Und es gibt acht Merkmale dieses wunderbaren Weges. Das erste ist Klarheit, dann Weisheit, Tatkraft der dritte Aspekt, Entzücken, Freude, Pity der vierte,  dann Mitgefühl und Güte, und der sechste Liebe und Herzgeist, der siebente innere Mitte, Sammlung, und der achte Stille und Gelassenheit. Auch hier ist deutlich ein Schwerpunkt zu sehen auf Herzaspekten: Liebe, Mitgefühl, Gelassenheit. Freude. Glückseligkeit.

Wir nähern uns mehr und mehr der Frage: Warum steht der Herzgeistaspekt im Mittelpunkt des Daishin-Zen? Gehen wir hinein, dannfinden wir dort die Antwort in einer Metapher für die Ebene des gleißenden Geistes. Die Ebene der Bergspitze. Eine alte Überlieferung aus frühen Mahayana-Sutren, die ein unerschütterliches Fundament des Daishin-Zen bilden, nämlich die Trikaya-Lehre. Ein vollendeter Buddha, vollendete Weisheit, unendlicher gleißender Geist. Die Bergspitze hat drei Körper: Trikaya. Diese ziehen uns an. Diese leuchten voraus. Sie sind in uns vorhanden, sie leuchten uns den Weg. Vielleicht der Schimmer in unserer Sehnsucht. Sie sind die Vollendung, und gleichzeitig haben sie sich nie vollendet.

Dharmakaya ist der erste. Sunyata, Leerheit, ist der Kern. Dies zeichnet in allerstärkstem Maße das traditionelle, japanische Zen aus. Dort ist seine Stärke zu Hause. Nur wer dort eine tiefe Einsicht hat, kann - in traditioneller Ansicht  - überhaupt fortschreiten. Es ist ein unendlicher Minimalismus, den wir im Zen auch spüren, der hier seinen Ursprung hat. Der Berg ist dort, unendlich, weißer Schnee, gleißender Geist, gleißendes Eis. KATS!  Alles, was ich sehe, ist nicht der Sehende. Wer bin ich? Totale Reduzierung. Ein Großteil der Koanschulung führt den Schüler immer wieder an diesen Punkt, den es nicht gibt, an diesen Weg, der nicht exisitiert. Verdeutlicht ihm, dass es nichts zu erreichen gibt. Dass Verblendung genau so eine Illusion ist wie Erleuchtung. „Wissen ist Verblendung“, sagt Nansen weiter zu Joshu. „Nichtwissen öde Leere. Es ist wie der weite offene Raum. Wie kann es da was von Richtig und Falsch geben?“ Rinzai sagt: „Erreichen ist Nicht-Erreichen.“ Es wird übermittelt „inshin denshin“ durch große Zenmeister. Mein Lehrer sagte, „durch alte gefährliche Drachen.“ Man muss mutig sein, um sich bis hierher zu wagen. Vairocana, der Buddha, japanisch  Birushana, ist das Symbol. (…)

Der Boshisattva Manyushri, der alles abschneidet, ist der Boddhisattva dazu. Im Hakuin Zenji Zazen Wasan, auf der Ebene, und es scheint der vierfache Mond der Weisheit, die Symbole der vier Kenshos. Es ist das Kensho von Leerheit.

Der zweite große Körper in der Tradition des Mahayana ist Sambhogakaya, der große Herzgeist, Herzeinheit, Shin, Daishin. Vimalakirti und das Vimalakirti Nirdesa Sutra sind eine große Basis, gerade im Daishin-Zen. Das Laien-Zen ist hier der Weg. Trotzdem ist dieser Aspekt, wenn wir das lebendige Zen angucken, auch in seinen alten Traditionen, eher in der Minderheit. Es hat es gegeben, aber es war immer ein wenig so ein kleiner gelber Diamant. Es ist die totale Einheit. Es ist das Netz des Indra, in dem alles sich in allem spiegelt. Große Herzeinheit. Der Aspekt Samadhi kann in diese Sphären führen, muss aber nicht. Es gibt eine große Verwandschaft. Es gibt eine Verbindung dort. Im Daishin-Zen ist es der Weg von Metta, die fünf Metta-Ebenen. Die Initation. Und der Buddha dazu ist Amida. Namu amida butsu. (…) Der Boddhisattva aber ist  Avalokiteshvara -  der Tausendhändige, Gütige, Mitfühlende. Am häufigsten wird dieser Weg durch die Initiation übertragen. Auch hier inshin denshin, von Herz zu Herz. Es gibt wenig Systematik dort; Ãœbung kommt an die Grenze, aber bereitet es vor. Es ist das Kensho der Einheit.

Und der dritte Aspekt ist Nirmanakaya, Soheit – Tathagata. Ein Versuch, sich dem systematisch zu nähern, ist die Achtsamkeitsschule - Sati. Für uns im Daishin-Zen ist es Offenheit, Klarheit. Es ist die totale Freiheit der Vielheit. Es ist die absolute Soheit. Es ist diese Welt und wird bezeugt durch wenige große Meister, wie zum Beispiel Zhaozhou - Meister Joshu, von dem ich gerade sprach. Es ist auch ein zweiter Schwerpunkt, eine Ausrichtung, des traditionellen, japanischen Zen. Ich selbst habe vor diesem Aspekt großen Respekt. Ich habe bis jetzt immer das Gefühl gehabt, es waren eher die alten Meister, die sich dort bewegen konnten. In der Tradition des Zen sind es zwei Kenshos, die notwendig sind, um dieses auszufüllen: Soheit, unmittelbar, und Wuwei, tatenloses Tun. Wobei man wissen muss, dass es in der taoistischen Tradition eine Gleichsetzung gab zwischen Wuwei und Sunyata. Aber das ist nur eine Fußnote.

Alle diese drei Wege haben Stärken, und es gibt auch Gefahren. Die Gefahr des Dharmakaya, Strebens – so kann man es ja nur nennen, es ist ja kein didaktisches System, es ist ein Streben, eine Sehnsucht vielleicht. Es ist eine Form von Buddhas, wie sie in dieser Welt erscheinen, wie Meister in dieser Welt erscheinen. Sie sind immer eine Mischung von diesem, das eine mehr, das andere weniger, das andere gar nicht, wie auch immer Dharmakaya ist ein langer, langer, langer Weg ohne Transformation. In alter Zeit hangelte man sich von Koan zu Koan zu Koan zu Koan, 197 und 238 und so weiter, in der Hoffnung auf den großen Ping, in den alten Geschichten wunderbar immer wieder erzählt. Die enden meistens mit dem Satz: „Da hatte der Mönch eine große Einsicht.“ Es ist eine lange, lange Zeit, und es ist hier ein Einschub, eine zarte – ich will nicht sagen Kritik, aber eine Anmerkung, ein langer Weg ohne ethische Transformation. Man kann sagen: Weisheit ohne Herz ist kalt.

Aber auch Sambhogakaya, auch wenn wir dort hinsteuern, wenn unser Vortrag dort hingeht, hat einen Aspekt, wo man achtsam sein muss: Herz ohne Weisheit ist dumm. Das treffen wir bei Esoteriktrötchen an. Da ist schon was vorhanden. Es ist ja nicht so, dass die alle nur blöde sind. Ein bisschen sind sie blöde, aber ein bisschen leuchtet auch was. Das macht es nicht ungefährlich. Aber noch gefährlicher ist die Verbindung von einem leicht leuchtenden Herz mit einer Unreife und Vermischung unheilsamer Gefühle. Leider ist das eine Mischung, aus der viele Religionen bestehen und die sich daraus entwickelnden Konflikte. Das ist eine furchtbare Mischung, Herz und Hass. Auch dort sind eben Gefahren, auf die wir achten müssen.

Und der dritte Aspekt, Nimanakaya, genauso unfassbar letzlich wie Leerheit. Was ist denn hier eine Gefahr? Es gibt systematische Wege, die sich dem nähern wollen – ich sagte schon, Sati-Schule – da ist die Gefahr, dass wir den Bock zum Gärtner machen, nämlich, dass wir unserem Verstand die Aufgabe geben, eine systematische Überwachung von Achtsamkeitsschemen zu übernehmen. Und dann hat man Schüler, die die ganze Zeit in sich rotieren und beobachten und alles mit Etiketten bekleben und... Ich finde, da versalzt man sich die Suppe, die das Leben ist, ein wenig. Schlimmer noch ist es , wenn es ein moralischer Käfig wird, wenn man dann auch noch das darf, und das nicht. Dann ist man wieder im Alten.

Also gibt es bei allen Dreien Dinge zu beachten. Aber warum steht im Daishin-Zen Sambhogakaya, der Herz-Weg, im Zentrum? Sicher haben wir Wege, auch die anderen beiden zu öffnen. Gerade Dharmakaya ist aus der Tradition unserer Verbindung mit dem Rinzai-Zen ein sehr, sehr starker Aspekt. Die Trikaya sind ja nicht erfassbar. Sie sind anziehende Kräfte für den heilsamen Weg. Und den einen spricht vielleicht ein besonderes Koan, eine Geschichte an, wie zum Beispiel: Eine Nonne, die bei Vollmond im Winter zu einem Brunnen geht, um Wasser zu schöpfen mit einem Bambuseimer, ihn herauszieht und in dem Moment in dem leicht sich bewegenden Wasser den Mond spiegeln sieht... und – knack – fällt der Boden raus, Wasser weg: tiefe Einsicht. Am nächsten Morgen schreibt sie: No water, no moon. Kein Wasser, kein Mond. Sicher passiert etwas, wenn man so etwas liest. Sicher führt das dazu, dass wir uns auf den Weg machen. Oft bei Menschen, die diesen Zen-Weg sehr kraftvoll betreten.

Aber Sambhogakaya hat eine Besonderheit. Der Buddhakörper der Liebe, des Herzens, hat eine Besonderheit. Jeder Mensch kann ihn jederzeit spüren. Das ist das Besondere. Versucht einem Menschen Soheit zu erklären, findet jemanden, der was davon versteht, der dafür einen Geschmack hat. Sucht jemanden, der Leerheit bezeugt, oder zumindestens sich nach vollkommener Freiheit sehnt - das ist der europäische Strom: Freiheit. Klar, finden wir welche. Aber wir finden in jedem Menschen eine Berührung von Herz. Dieser Weg ist uns sehr offen. Das ist der eine große und wichtige Aspekt. Er spiegelt sich in uns. Viele Menschen kennen ihn, und die Sehnsucht nach Einheit, nach Heimat wird immer größer in dieser Welt von Heimatlosigkeit und Chaos und Unbeständigkeit.

Der zweite Aspekt, und das war ein wichtiger Hinweis von meinem früheren Lehrer Rei Shin Bigan Roshi: der Herzaspekt, egal wie weit er sich in uns öffnet, auch wenn er kein Kensho ist, sondern nur eine unendliche, wunderbare Schönheit, ist das Tor zur Freiheit. Egal, wie oder was, ihr seid dann am Tor. Und manchmal ist alles weg. Und dann ist man ganz woanders, oder nirgendwo und nichts.

Die Liebe kennt jeder. Nun kann man sagen: Aber die Menschen kennen Liebe doch nur in Verbindung mit Verlangen, mit einem Objekt, mit einer Person. Das ist doch nicht Liebe, würde vielleicht ein westlicher Mönch sagen, oder vielleicht auch ein östlicher Mönch, es ist ja Begierde. Ich sage: In jeder Liebe zwischen Menschen, auch wenn Gier ohne Ende da ist, leuchtet ein Licht. Vielleicht war es nur am Anfang da, in dem ersten Moment, in dem zwei Augen ineinander getaucht sind. Vielleicht ist es da, wenn zwei Menschen alt sind. Mein Onkel Otto ist 92 geworden und seine Frau 91. Und ich glaube, sie haben geheiratet, da waren sie noch nicht einmal 20. Das war was. Sicher kann man sagen, das ist Gewöhnung. Sicher gibt es unendlich viele solche Geschichten. Ich sage nicht, dass das alles reines Herz ist.

Aber ich sage, dass wir Menschen vier Berührungen haben, die wir alle im Leben erleben. Es gibt nur wirklich wenige, die wenig darüber zu wissen berichten können. Es ist die Berührung durch die große Natur. Winterwind geht durch Fichten, Schnee fällt herab, ein Eichhörnchen raschelt, Stille, Einheit. Wir kennen das. Ein See, in dem sich die Sonne spiegelt, in dem Moment, wo eine Brise tausende von kleinen goldenen Wellen erzeugt. Die große Natur. Dann die Kunst. Nicht alle Kunst. Vielleicht die Musik, Bach, Mozart-Requiem, aber vielleicht auch ein moderner Pop-Song. Auf einmal sind wir still. Wir haben fast Tränen in den Augen, wir sind angerührt. Und ich meine nicht, auf Herz reimt sich Schmerz. Das meine ich nicht damit - das gibt es auch. Nein, es ist etwas anderes. Wunderschön. Dann ist es die Erotik zwischen Mann und Frau, wenn sie rein ist und mit Nähe verbunden, auf einmal mehr ist als Gier, mehr ist als Verlangen, mehr ist als Auslöschung von Einsamkeit, sondern etwas Besonderes in uns aufleuchtet. Ist das nicht schön? So beschenkt sind wir. Und zuletzt erleben wir es in der Zeremonie. Eine Weihnachtsmesse, eine Hochzeit in Weiß, eine Schülerzeremonie, Zufluchtnahme.Immer wieder spiegelt sich diese unendlich ferne Sonne des Sambhogakaya, dieses unendliche Licht, das alles ist, in einem kleinen Funken in uns wieder.

Deshalb steht der Herzaspekt im Zentrum des Daishin-Zen. Weil es jetzt so einfach ist. Wir nehmen die Wege der Alten,der alten Meister, der Rinzai-Tradition,  ihr großes Geschenk an uns, das Geschenk Buddhas in seiner unmittelbaren Ãœbertragung und gehen in die Stille. Denn was hält uns ab? Warum sind wir trotz dieser Begegnung der Liebe in uns so unglücklich? So zerstreut, so leidend, so hektisch, chaotisch, getrieben. Weil wir keine Stille haben, keine Ruhe, wir haben keine Schale für den Tee. Gott schenkt uns köstlichstes Elixier, aber wir haben nichts zum Auffangen, und wir haben auch keine Zeit. Es rinnt ins Wasser, in den Sand, wir merken es nicht einmal. Bereit zu sein für diese Gnade, ist der Weg. Gnade ist außerhalb von uns. Erleuchtung ist außerhalb von uns. Unio Mystica ist außerhalb von uns. Aber wir sind bereit. Ich übe Zazen und bin offen für diese Gnade. Christen nennen es die Gnade Gottes – Heiliger Geist. Daishin – großer Geist. Mushin – leerer Geist.

Und dann sind wir offen. Und dann in dieser Offenheit übend, kniewehtund, nasejuckend, eine Gedanke zum anderen, ein Gefühl nach dem anderen: Sanft, klein, ein Funke fällt herab in diese Schale, winzig klein. Und wir sind wach. Es berührt uns. Und auf einmal (schnipst), aller Traum ist vorbei, alle Illusion fällt ab, wir sind wach, wir sind aufgewacht, wir sind erwacht. Wir sind dieses Herz. Dann sind wir Liebe. Und wenn es wenig ist, und wenn es die Ewigkeit ist. Darum geht es hier im  Moment nicht. In diesem Moment leuchtet unser Herz auf. Und wir erkennen, Metta-Herz ist unabhängig von den Dingen außerhalb von uns.

Und so lernt der Schüler durch die Initiation, die ich eben genannt habe, oder aber durch die Initiation inshin denshin von Schüler und Meister, zum ersten Mal kennen. Beim ersten Mal denke ich, es ist der Kirchenchoral, es ist der Meister, es ist der Partner, es ist der Windhauch. Und dann, durch die Offenheit der Übung, bleibt dieser Funke in mir. Natürlich wird er durch Welt und Alltag und Sorgen und tausende von Dingen immer wieder zugeschüttet, und ihr kommt aufs Sesshin und ihr öffnet eure Schale, ihr öffnet eure Form, kraftvoll wird sie. Und wieder öffnet sich dieser Funke. Und irgendwann mal - im Supermarkt in der Gemüseabteilung, mitten im Flugzeug: Es ist da. Oder ihr küsst euren Partner, und es ist da. Und euer Partner sagt: huch. Und dann wisst ihr, es ist nicht der Meister, es ist nicht der Windhauch, es ist nicht der Kirchenchoral, – ich bin's. Ich bin das Licht, ruhe in mir selbst und sonst nichts. Atta dipa viharatha - Atta sarana ananna.

Das ist so leicht. Wir brauchen die Ãœbung der drei Meilensteine, den Berg hinauf. Und dort sind wir mit einer Schale. Ob wir auf einer Alm sitzen oder mit einem Arm an einer Steilwand hängen, schwitzend, fluchend, oder wir sitzen in der unendlichen Weite des weißen, offenen Gletschers. Ein Funke öffnet unser Herz und wir spüren dies. Auch wenn wir zurückkehren. Auch wenn wir dann wieder im Alten sind. Das ist ein Teil unseres menschlichen Seins. Wir kehren immer wieder zurück; das ist unsere Bestimmung. Und dieses Zurückkehren ist nicht nur den Meistern vorbehalten, die von der Bergspitze herabsteigen und das Ewige bezeugen und das Licht unter den Menschen mehren. Sondern auch im Kleinen. Indem wir unseren Partner vielleicht ein bisschen anders küssen und die Nähe zwischen uns ein wenig größer ist. Und statt Gier: Verbindung. Indem wir durch den Wald gehen, und ein Blatt herabfällt und alles stehen bleibt. Oder ein Klang, ein Ton auf dem Klavier -  alles verbindet.

Das ist Daishin. Und dieses Herz öffnet irgendwann eines der Trikayas für euch. Welches, das wissen wir nicht. Oder vielleicht auch mehrere. Aber der Daishin-Zen-Weg bedeutet, dass von Anfang an Transformation, Veränderung, Freiheit und Öffnung da sind. Und mitten im Chaos, im Leiden, was wir immer wieder auch erleben werden, in der Welt, in den Sorgen, die wir haben, erinnern wir uns. Und noch besser: Wir setzen uns in Zazen und sind offen. Und es wird mehr und mehr zu einem Weg. Und irgendwann zu einem Weg, von dem wir nicht mehr herunterfallen können. Wunderbar. Trotzdem sind wir noch im Chaos und leiden. Aber wir spüren: Der rote Faden ist da. Mein Gott, geht es mir schlecht. Mein Gott, dem könnte ich jetzt aber echt ein Glas Wasser über den Kopf kippen, kann der nicht mal aufhören zu quatschen. Aber der rote Faden ist da. Mein Gott, hab ich Bock, mit der Frau zu flirten. Aber der rote Faden ist da. Ich irre mich, ich täusche mich, ich mache Fehler, und ich verletze vielleicht auch noch andere Menschen. Aber immer weniger. Ich sehe die Dinge nicht so, wie sie sind. Aber immer weniger.

Mehr und mehr wird daraus ein Regen aus Funken, und in allem, was ihr seht, schimmert das eine Licht. Und ihr erkennt, dass das Licht, das ihr seht, nichts weiter ist, als die Reflektion der unendlichen Sonne in eurem Herzen. Und deshalb seht ihr, deshalb hört ihr. Und dann fällt der andere Wahnsinn ab.

Wer bin ich? Der Weg wird offen und klar.

Catvari apramana cittani - Maitri – Güte wie ein Sonnenmeer. Karuna – Liebe wie eine Mutter zu ihrem Kind. Mudita – Freude, Entzücken wie Frühlingssonne. Upekkha – Gelassenheit wie ein stiller, weiter Ozean.

Maitri – Güte.

Karuna – Liebe.

Mudita – Freude.

Upekkha – Gelassenheit.

Maitri, Karuna, Mudita, Upekkha.

Atta dipa viharatha - Atta sarana ananna.

Du bist das Licht. Ruhe in dir selbst. Und sonst nichts.

 

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